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3. Selbstbilder: Wie empfanden die Migranten die Situation - Briefe in die Heimat

A. Wilhelmine Wiebusch: 1884 in die USA ausgewandert

(Fand wenige Tage nach ihrer Ankunft in den USA einen Arbeitsplatz im Haushalt eines wohlhabenden jüdischen Geschäftmannes in Brooklyn. Wahrscheinlich half ihr beim Einstieg in dieser gesellschaftlichen Schicht ihre Berufserfahrung.) / Only a few days after her arrival she found a job as a housemaid with a wealthy jewish businessman in Brooklyn.)

liebe Marie,

Du müßtest New¬York nur wirklich mal sehen, wenn Du Sontag aus gehst komme ein bischen her, die Stadt ist wohl 3mal so groß wie Hamburg, die schönste und Hauptstraße der Broadway ist über 6 Stunden lang, hat rechts und lingst an 300 neben Straßen den die vielen vielen andern Staßen noch alle, zu Fuß kann man des¬halb auch wenig gehen da es so sehr weitläufig alles ist mann nimt Einfach die Care oder Eisenbahn welche fast in jeder Straße fahrt hoch oben bis an der zweiten Etg der Hauser, über einen Fahrweg geht man manches mal mit Lebens¬gefahr es rennt ein Wagen hinterm andern, ein Geräuscht das ma[n] sein eigen Wort nicht verstehen kann alles Geschäft und Geld. Am 8 August hatten wir das du[m]e Glück beide zusammen placirt zu werden in einen sehr feinen Privathau¬se in Brooklyn. [...]

Arbeit haben wir freilich etwas mehr, denn die Amerikaner leben sehr nobel, es wird hier dreimal am Tag warm gegessen, dann haben wir sämtliche Wäsche im Hause, da es außer dem Hause so furchtbar theuer ist, selbst Oberhemden und Manschetten müssen wir pletten. Verstehen muss man hier alles, wir richten es uns aber ein, wie wir wollen. [...] Die Familie ist außerordentlich freundlich, es sind im ganzen 8 Personen Mr. Und Mrs. Moses, 3 erwachsene Bild hübsche Töchter und 3 schmuke Jungens. Die Lady selber spricht gebrochen Deutsch, wir können uns ganz gut mit ihr verständigen. [...] Du müsstest uns nur mal Englisch sprechen hören, wir rappeln alles nach, ob es recht ist oder nicht, die Lady sagt manchmal Sie möchte gestorben sein, vor Lachen über uns.“ [...]

Ich habe auf die Amerikaner nichts auszusetzen es sind sehr freundliche galante Menschen, nur die Deutschen hier gefallen mir noch nicht so recht, sie thun alle sehr hoch t[ra]gen, als könnten sie kein Deutsch mehr verstehen, sie thun als wenn sie nichts von ihrem Vaterland mehr wüßten[...]“

Quelle: Helbich, Wolfgang/Kamphoefner, Walter D./Sommer, Ulrike (Hg.): Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt 1830-1930, München 1988, S. 561f.

B. Johann Dumsch

(* 1858 in Neu-Altmannsdorf, 1882 mit seinem Bruder Heinrich ausgewandert, gest. 1948 in Rogers City/Michigan) (*1858 in Neu-Altmannsdorf, migrated in 1882 with his brother Henry, died 1948 in Rogers City/Michigan)

Rosewill, 25.12.1882

Liebe Eltern und Geschwisters

Meinen letzten Brief sandte ich am 12. Dezbr. Worin ich schrieb daß ich noch keine Arbeit habe. Doch 3 Tage später hatte ich schon welche, Am 14tn Dezbr. Ging ich u. der Heinrich von Detroit aus aufs Land zu den Farmern wie wier 8 Meilen gegangen waren begegneten wier einem der frug mich gleich ob ich arbeiten wollte, wer war froher wie ich, Er gab mir seine Adreße wo ich noch denselben Tag hinging 10 Meilen von Detroit. [...] Meine Herrin heißt Gerandy sie ist Wittfrau u. Französin [...] Hier in der Famielie wird französisch, englisch u. deutsch gesprochen, ich verstehe natürlich keine andere wie die Muttersprache. Meine Arbeit ist Pferde putzen Rindvieh füttern. Holz hacken. Holz fahren, kurz und gut. Alle Arbeit die in der Wirthschaft vorkommt. Was das Essen anbelangt, so ist bei mir alle Tage besser wie Kirmiß, alle Tage 3.mal Fleisch. [...] Liebe Eltern was ich hier schreibe ist etwa kein Humbug sondern die Wahrheit. Liebe Eltern ich bin zwar hier der Knecht aber ich stehe mich besser wie in Deutschland ein HandlungsCommis.“

Quelle: Wolfgang J. Helbich (Hg.): „Alle Menschen sind dort gleich...“ Die deutsche Amerika-Auswanderung im 19. Und 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1988, S. 107.

C. Brief von Philippe Lépine

(*1856 in Gartz, ausgewandert 1884, arbeitete in D. als Eisenbahner)

Marschall, den 4ten 1. 85

Lieber Bruder und Schwägerin!

[...] Ich will Euch nun etwas aus Amerika mittheilen, damit Ihr wißt wie es hier aussieht, Wenn die Deutschen nach Amerika ziehen, dann heißt es jetzt gehts nach das schöne Land, aber wie teuscht sich mancher, wenn er hier ankömmt; wer in eine Stadt bleibt, mit dem geht es noch, wenn er gleich Arbeit bekömmt, und die bekommt jeder frische Einwanderer, denn die Nimmt ein jeder, die sind noch zu dumm, die kennen die mode, und auch den Lohnpreiß nicht, das machen sich die Amerikaner zu Nutze; Aber so wie hier wo ich bin ist es anders, hier ist keine Stadt, hier muß ein jeder beim Farmer Arbeiten er muß sich beim Farmer Vermihten der Lohn ist pro Jahr 150 – 200 Dollar Ich habe mich noch nicht Vermitet, binn es auch nicht Willens, ich arbeite auf Tagelohn, im Sommer habe ich 2 Monath gedint beim Farmer,

Aber das wollte mir nicht gefallen, mann muß des Morgens früh und Abens spät arbeiten, und dann auch noch Milchen, das gefällt mir nicht. [...]

Lieber Bruder, wenn Du hier währest Du würdest Dich wundern, über einen Farm, die Ställe, Du hast keinen Begriff davon; da graben sie 6 oder 8 Pfähle in die Erde, legen oben quer auch lange Bäume, bringe oben Stroh hinauf und der Seiten mit Bretter beschlagen, (viele auch nicht) und der Stall ist fertig ich wohne noch in eins der Besten Gegende es giebt viele, da lieg das Vieh Sommer und Winter draußen, im Schutz der Strohhaufen (Strostork) Wohnhäuser sind etwas gut, aber einige sind so schlecht das mich die Haut schaudert wenn ich hinein gehen soll, in der Stube hängen alte Jacht Gewehre aus alten Zeiten (Mordgewehre sage ich immer) denn die Jacht ist so. Die Pferde sind auch ein wenig wahrm untergebracht, 4 Bäume in die Erde, und bretter an den Seiten, und aufs Dach Stroh im Winter wird alles mit Mist bepackt, denn es wird hier sehr kalt, 30 Grad hatten wir vor Weihnachten. [...]

Euch von der Fahrt zu schildern, halte ich nicht für nötig, es ging gut, aber auch sehr schlecht, denn die Deutschen glauben doch nicht, wenn jemand die Wahrheit schreibt; Ich will Dir nun die entfernung mittheilen von Europa bis Waterloo in Amerika Von Bremen bis Baltimore sind 5825 Seemeilen, und von dort bis Chikago 2528 Englische Meilen und von dort bis Waterloo noch 150 Meilen Ich werde wohl nicht hier bleiben, erst werde ich nach eine Stadt ziehen wo Fabricken oder Sägemühlen sind, da ist mehr Geld zu verdienen. [...]“

Quelle: http://www.Auswandererbriefe.de; Zugriff: 15.10.2010.

Präsentation

Die Briefe schildern die Erfahrungen dreier in den 1880er Jahren in die USA Ausgewanderter. Während die Frau als Hausangestellte arbeitete, arbeiteten die Männer als Farmer. Wilhelmine Wiebusch fand wenige Tage nach ihrer Ankunft in den USA einen Arbeitsplatz im Haushalt eines wohlhabenden jüdischen Geschäftmannes in Brooklyn. Wahrscheinlich half ihr beim Einstieg in dieser gesellschaftlichen Schicht ihre Berufserfahrung.)

Fragen

  1. Fasst die unterschiedlichen Eindrücke der deutschen Einwanderer in den USA thesenartig zusammen.

Anzeige des Lehrer-Ansicht auf die Antworten finden.


Beschreibung und Analyse

Die unterschiedlichen Darstellungen können in positive und negative Eindrücke klassifiziert werden. Dadurch sollte sich ein differenziertes Gesamtbild ergeben.

Geographisch/Historisch Kontext

Zwischen 1820 und 1914 wurden ca. 280 Millionen Briefe von deutschsprachigen Auswanderern in deutsche Landen verschickt. D.h., dass es sich bei den Briefen nicht um einzelne Schreiben handelt, sondern um eine wahre Masse. Briefe von Auswanderern sind deswegen interessant, weil sie die Familien über den Atlantik zusammenhielten. Darüber hinaus sind sie wichtige sozialhistorische Dokumente über die Gründe des Weggangs und die Situation im Zielland. Und sie stellen eine Hauptantriebsfeder dar, dass Verwandte, Bekannte, Freunde dem Weg der Ausgewanderten folgten und ebenfalls emigrierten (Kettenmigration). Da neu hinzugekommene jedoch auch eine Belastung für die bereits Ausgewanderten darstellten, wird die Frage der Nachwanderung in den Briefen selten eindeutig beantwortet, sondern oftmals damit beantwortet, dass jeder selbst entscheiden müsse und für sich die Verantwortung trage.

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